Stress reduzieren und entspannen mit der Atmung

Was ist Stress?

Der Mensch bewegt sich zu jeder Tageszeit auf einem Kontinuum autonomer Erregung. Im allgemeinen Sprachgebrauch gibt es Adjektive für gewisse Punkte auf diesem Kontinuum, diese sind bspw. schläfrig, konzentriert oder angespannt. Betrachtet man das Ende mit der wenigsten Erregung wäre das eine Person, die im Koma liegt. Wiederum am anderen Ende ist es eine Person, die gerade eine Panikattacke hat. In den Bereichen dazwischen gibt es verschieden hohe Stressniveaus. Stress im Allgemeinen ist ein Zustand von Erregung, der es uns erlaubt unseren Körper zu mobilisieren (Wapner 2020). Innerhalb von 500 Millisekunden erhöhen sich unsere Atmung und unser Herzschlag, auch die Pupillen erweitern sich. Aufgrund dieser Vorgänge nimmt unsere Durchblutung zu und unsere Sauerstoffaufnahme wird besser. In anderen Worten: Wir sind leistungsfähiger als zuvor und können besser auf Gefahrensituationen reagieren und diese meistern (Maccormick 2020). Müsst ihr beispielsweise rennen, um euren Zug zu bekommen, so ist eine Stressreaktion eures Körpers notwendig, da ihr damit in der Lage seid diesen auch zu erwischen.

Ursprung: Kampf- oder Fluchtreaktion

In der Wissenschaft geht man davon aus, dass die Kampf- oder Fluchtreaktion in den Gehirnen unserer Vorfahren verankert wurde. Über tausende von Jahren wurde unser Gehirn darauf konditioniert diesen physiologischen Prozess (Stress) zu wiederholen. Meist war sie die Reaktion auf mögliche Angriffe von Raubtieren (Maccormick 2020). Heutzutage haben wir es glücklicherweise nur noch selten mit Raubtieren zu tun. Die Stressoren haben sich im Laufe der Zeit verändert. Der Tiger als mögliches Raubtier taucht heute als Aktenberg auf unseren Schreibtisch auf oder in Form von Textnachrichten wie “Wir müssen reden” im Chatverlauf mit unserem Partner. Erkennt unser Gehirn eine Situation, die potentiell gefährlich ist, wird der Kampf- oder Fluchtreflex ausgelöst. Es strömen vermehrt Adrenalin und Cortisol sogenannte Stresshormone durch unseren Körper. Für unser Gehirn ist es unwichtig, ob dies ein wildes Tier oder der Chef ist (Trifone 2020). Es wird aber auch Momente im Leben geben in denen Stressreaktionen nicht gut auf Lebenssituationen abgestimmt sind. Finden Stressreaktionen spontan oder dauerhaft statt, können sie schädlich für den Organismus sein (Wapner 2020).

Was hilft gegen Stress?

In der heutigen Zeit stehen wir aufgrund der unterschiedlichsten persönlichen Umstände unter Stress. Hinzu kommen weitere äußere Einflüsse, die uns als ganze Gesellschaft beschäftigen wie bspw. die Corona-Pandemie, die anstehenden Bundestagswahlen oder auch Flutkatastrophen. Damit uns diese Geschehnisse nicht übermannen und wir weiterhin mit “kühlem Kopf” Lösungen finden, ist es wichtig unseren Stress zu managen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit Stress umzugehen und diesen zu mildern. Dazu zählt bspw. ausreichend Bewegung, Meditation, Hypnose oder Massage. Eben jene, die in vielen Zeitschriften und im Internet zu lesen sind. Auch das Essen von Kohlenhydraten ist eine bewiesene Methode, um Stress zu bewältigen. Ist unser Bauch gut gefüllt, so wird laut Huberman ein Signal an das Gehirn gesendet, dass der Stressreaktion entgegenwirkt und eine Reaktion des Parasympathikus auslöst (Maccormick 2020). Dieser Parasympathikus ist einfach gesprochen für die allgemeine Beruhigung zuständig und der Gegenspieler des Sympathikus (Maccormick 2020). Jedoch ist bekanntlich ständiges Essen von Kohlenhydraten nicht die gesündeste Art ist, um mit Stress umzugehen.

Außerdem sind die gerade genannten Aktivitäten allesamt mit Zeit und Kosten verbunden. Im Warteraum, kurz vor einer mündlichen Prüfung, ist es aus eigener Erfahrung schwer möglich diese Methoden anzuwenden. Sie bieten sich eher in Ruhephasen an und dienen dem allgemeinen Wohlbefinden auf lange Sicht. Hinsichtlich ihrer positiven Wirkung auf unsere Gesundheit, sollten sie dennoch nicht vernachlässigt werden.

Physiologisches Seufzen als Tool zur Verringerung von Stress

Es gibt aber auch eine Möglichkeit, die im Moment wirken kann. Es muss also von der stressauslösenden Aktivität kein Abstand genommen werden. Sie eignet sich deshalb perfekt, wenn man z. B. kurz vor einer Klausur in der Universität steht.
Aufmerksam wurde ich auf diese Atemtechnik durch eine Podcast Folge von Andrew Huberman. Er ist Neurowissenschaftler und Professor im Fachbereich Neurobiologie an der Stanford University School of Medicine (CalmCuban 2020). Zusammen mit seinem Labor forscht er an Atemtechniken und Muster, die Stress in Echtzeit mildern können (Huberman 2020; Maccormick 2020). Die Rede ist von dem „physiological sigh“ auf Deutsch also „physiologisches Seufzen“ (Trifone 2020).

Nach Aussage Hubermans wurde dieses Seufzen erstmals in den 1930 er Jahren beobachtet. Forscher hatten bei Menschen, die unter Klaustrophobie leiden herausgefunden, dass sie unbewusst seufzten, um sich zu beruhigen (Trifone 2020). Diese Seufzer traten auch im Tiefschlaf auf. In einer Studie wurde ebenfalls bestätigt, dass spontane Atemzüge bei Menschen mit hoher Angstempfindlichkeit die physiologische Spannung reduzierten (Vlemincx/van Diest/van den Bergh 2016). Ausgelöst werden diese, wenn Neuronen im Körper signalisieren, dass sich im Blutkreislauf zu viel Kohlenstoffdioxid angesammelt hat. Kohlenstoffdioxid löst bei Menschen den Impuls zum Atmen aus (Wapner 2020). Möglicherweise kommt euch dieser Seufzer bei euren Haustieren bekannt vor. Häufig stoßen Hunde während sie sich hinlegen ordentlich Luft aus. Es kann auch sein, dass ihr euch selbst nach einem anstrengenden Tag dabei erwischt ganz laut auszuatmen, wenn ihr in eure Betten oder auf die Couch fallt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass diese unbewussten Seufzer auch aktiv, bewusst und freiwillig durchgeführt werden können und auf gleiche Weise im Körper wirken (CalmCuban 2020). Huberman sagt, dass man Gedanken nur sehr schwer mit dem Verstand kontrollieren kann, besonders in Stresssituationen. Schließlich entspringen die Gedanken eben jenem Verstand. Eine bessere Variante ist es den Körper zu benutzen, um die Entspannung herbeizuführen (CalmCuban 2020).

Die Atemtechnik geht wie folgt (CalmCuban 2020):

  1. Durch die Nase einatmen
  2. Beendet die vorherige Einatmung mit einer weiteren, diesmal kürzeren Einatmung durch die Nase
  3. Langes Ausatmen durch den Mund

In diesem Video seht ihr nochmal wie die Atemtechnik aussehen sollte (Video startet bei 1:20 min):

Auf was zu achten ist

Das Zwerchfell übernimmt eine bedeutende Rolle bei der Atmung. Bei der Einatmung füllen sich die Lungen. Das Zwerchfell wandert ein wenig nach unten. Das bedeutet auch, dass das Herz nun mehr Platz hat. Das Herz wird größer und das Blut darin fließt langsamer hindurch. Diese Information senden Neuronen des Herzens über den Vagusnerv an das Gehirn. Dem Gehirn wird auf diese Weise signalisiert, dass es die Herzfrequenz erhöhen muss. Um einen Zustand der Wachheit zu erzeugen muss das Einatmen länger dauern als das Ausatmen (Wapner 2020).

Der gleiche Mechanismus lässt sich aber auch in die andere Richtung überführen. Das Signal ist dann das Absenken der Herzfrequenz. Das ist wichtig, wenn man sich beruhigen will. Deshalb sollte darauf geachtet werden, dass das Ausatmen länger dauert als die beiden Einatmungen zuvor (Huberman 2021). Damit der beruhigende Effekt, den die Atemtechnik auslöst, eintritt, reichen schon ein bis drei Atemzüge (Huberman 2020). Die neuronalen Schaltkreise, die für das Herz zuständig sind, benötigen länger als die Neuronen der Lunge. Deshalb setzt das Absinken der Herzfrequenz nicht direkt nach dem Atemzug ein. Es dauert etwa 40 Sekunden, bis sich die Atemtechnik auch auf die Herzfrequenz auswirkt. Die Beruhigung tritt demnach ebenfalls zeitverzögert ein (CalmCuban 2020).

Besonders das zweite Einatmen ist wichtig. Unsere Lungenbläschen (Alveolen) sind wie kleine Luftsäcke in der Lunge. Mit der Zeit kollabieren diese Säcke und infolgedessen sinkt der Sauerstoffgehalt im Blutkreislauf und der Kohlendioxidgehalt steigt an (Wapner 2020). Um diese Luftsäcke wieder zu öffnen, benötigen wir einen kurzen Atemstoß. Dadurch wird der Lunge ermöglicht wieder mehr Sauerstoff aufzunehmen und gleichzeitig mehr Kohlendioxid auszustoßen (Trifone 2020).

Teilt diesen Beitrag gerne mit euren Freunden, die zurzeit eine stressige Phase durchmachen. Falls euch das Thema gefallen hat, kann ich euch den Podcast „Hubermanlab“ von Andrew Huberman nur wärmstens ans Herz legen. Es ist beeindruckend, wie kompetent er in seinem Feld ist, wie mühelos er schwere Themen erklärt und dieses Wissen kostenlos für alle zur Verfügung stellt.

Literatur

CalmCuban (2020): Science Says This Breathing Exercise Will Help You Calm Down Quickly. Online: https://calmcuban.com/science-breathing-exercise-calm-down-quickly/ (18.09.2021).
Huberman, Andrew (2020): @hubermanlab instagram post 2020-04-04: A simple stress reducing breathing tool based on the neural circuits that control deliberate sighs. This “double-inhale, extended exhale”… Online: https://www.instagram.com/p/B-iajrGH-EO/ (18.09.2021).
Huberman, Andrew (2021): Reduce Anxiety & Stress with the Physiological Sigh | Huberman Lab Quantal Clip. Online: https://www.youtube.com/watch?v=rBdhqBGqiMc (18.09.2021).
Maccormick, Holly (2020): How stress affects your brain and how to reverse it. Online: https://scopeblog.stanford.edu/2020/10/07/how-stress-affects-your-brain-and-how-to-reverse-it/ (17.09.2021).
Trifone, Danny (2020): Using the Breath to Control the Mind. Online: https://thriveglobal.com/stories/using-the-breath-to-control-the-mind/ (18.09.2021).
Vlemincx, Elke; van Diest, Ilse; van den Bergh, Omer (2016): A sigh of relief or a sigh to relieve: The psychological and physiological relief effect of deep breaths. In: Physiology & behavior, (165), 127–135.
Wapner, Jessica (2020): Vision and Breathing May Be the Secrets to Surviving 2020. Online: https://www.scientificamerican.com/article/vision-and-breathing-may-be-the-secrets-to-surviving-2020/ (18.09.2021).

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